Titel: Sternbaronat roter Riese
Autor:Thomas Ziegler
Originaltitel
Serie:Flaming Bess Band 7
Titelbild: Luis Royo
ISBN: 3-404-23070-1
Verlag Bastei-Lübbe, Bergisch-Gladbach 1987
Auszug:
Der Anfall begann harmlos, mit einem Brennen in der Brust, aber
Kriegsherr Krom wußte, daß das Brennen nur der Anfang war.
Ausgerechnet jetzt! dachte er mit einer Mischung aus Zorn und Ver-
zweiflung. So kurz vor der entscheidenden Sitzung des Direktoriums …!
Das Brennen wurde stärker. Bald würden die Schmerzen kommen,
und nach den Schmerzen die Krämpfe — und dann der tiefe Sturz in die
Bewußtlosigkeit, vor der ihn nur das Gegenmittel bewahren konnte.
Krom biß die Zähne zusammen.
Hoffentlich gelang es ihm, seine Kabine zu erreichen, bevor die
Krämpfe einsetzten. Er durfte keine Schwäche zeigen, nicht jetzt, nicht
hier im Kommandostand der MORTUS, nicht vor den Augen der Klon-
soldaten, die an ihren Kontrollpulten saßen und die letzten Vor-
bereitungen für den Transit durch das Schattentor trafen.
Auf dem parabolischen Sichtschirm, der die gegenüberliegende Seite
des treppenförmig abfallenden Raums einnahm, glitzerten die Sterne
des Herculeshaufens. Mit halber Lichtgeschwindigkeit fiel die
MORTUS dem dunklen Fleck des Schattentors entgegen, das sich in
wenigen Minuten öffnen würde. Im kalten Licht der scharf umrissenen
Scheinwerferkegel, die den Kommandostand erhellten, erinnerten die
schwarzuniformierten Klonsoldaten auf den drei Terminalebenen unter
Kroms wuchtigem Sessel an Marmorstatuen. Wie erstarrt saßen sie da,
mit dem Rücken zu Krom, die Augen hinter den getönten Helmvisieren
auf die Instrumente und Displays ihrer Pulte gerichtet, um plötzlich,
ruckartig, mit maschinenhaft präzisen Bewegungen, Schalter umzule-
gen, Druckknöpfe zu betätigen, Korrekturanweisungen in den Navigati-
onscomputer einzugeben. Dann erstarrten sie wieder.
Niemand sprach. Jeder wußte, was er zu tun hatte.
Sie waren Klons. Soldaten aus der Retorte, Werkzeuge.
Das Brennen in Kroms Brust breitete sich aus. Sein Fleisch schien in
Flammen zu stehen, und sein Blickfeld verschwamm. Mit eiserner Wil-
lenskraft kämpfte er gegen die zunehmenden Schmerzen an. Ein dünner
Schweißfilm glänzte auf seiner Stirn, und sein kantiges Gesicht war
grau wie verwittertes Gestein.
Dann ließ der Anfall nach, doch ihm war klar, daß ihm nur eine kurze
Pause vergönnt war.
Er mußte sich beeilen.
Zuviel stand auf dem Spiel. Schwäche vor den Klonsoldaten zu zei-
gen, bedeutete, das Gesicht zu verlieren, und wenn die Direktoren da-
von erfuhren… Ein grimmiges Funkeln trat in seine Augen. Nein, dach-
te er, diesen Triumph werde ich ihnen nicht gönnen. Niemand wird dem
herculeanischen Kriegsherrn Schwäche nachsagen können.
Er holte tief Luft und berührte eine der Sensortasten an der rechten
Lehne seines Kommandosessels. Auf der Ebene unmittelbar unter ihm
drehte sich der Sitz seines Adjutanten zischend herum.
»Sir?« sagte Adjutant Faal.
Der dunkel getönte Visierhelm verbarg seine Augen und ließ nur den
Spalt des Mundes und das eckige Kinn frei. Faal sah aus wie alle ande-
ren Klonsoldaten, die zu Millionen in den unterirdischen Brutfabriken
von Herculea gezüchtet wurden, doch in einer Hinsicht unterschied er
sich von den gewöhnlichen Klons — er trug einen Namen statt einer
Nummer.
Flüchtig dachte Krom an Dool, seinen zweiten Adjutanten, der trotz
des genetisch verankerten Gehorsamprogramms desertiert war und
Flaming Bess und dem Klansmann Ka die Flucht von Herculea er-
möglicht hatte.*
Unwillkürlich ballte er die Fäuste.
Auch wenn Flaming Bess entkommen war — früher oder später
würde er sie aufspüren und zur Strecke bringen. Sie konnte sich nicht
ewig vor ihm verstecken. Irgendwann würden die herculeanischen
Patrouillenschiffe, die überall in der Milchstraße unterwegs waren,
die NOVA STAR wiederfinden. Flaming Bess ahnte es nicht, aber an
Bord ihres Schiffes befand sich ein unfreiwilliger Verräter mit einem
psychotronischen Sender im Gehirn. Es war nur eine Frage der Zeit,
bis die Patrouillen die Signale empfingen und die Position der NOVA
STAR feststellten, und dann . ..
Eine neue Schmerzwelle erinnerte ihn daran, daß es im Moment
wichtigere Dinge gab.
»Übernehmen Sie, Faal«, sagte er gepreßt. »Ich bin in meiner Kabi-
ne, um mich auf die Sitzung des Direktoriums vorzubereiten. Bis zur
Ankunft auf Herculea will ich nicht gestört werden, verstanden?«
»Verstanden, Sir«, bestätigte der Adjutant.
Ein Knopfdruck, und Faal schwenkte mit seinem Sitz wieder zum
Kontrollpult herum.
Krom unterdrückte ein Stöhnen, als der Schmerz wie ein glühendes
Messer in sein Fleisch schnitt. Panik stieg in ihm auf. So stark waren die
Schmerzen noch nie gewesen. Schon schnürte der erste Krampf seine
Brust zusammen und preßte ihm die Luft aus der Lunge. Schatten tanz-
ten vor seinen Augen.
Nein! dachte er verzweifelt. Ich darf nicht zusammenbrechen, nicht
hier im Kommandostand …!
Mit übermenschlicher Kraftanstrengung stemmte er sich aus dem Ses-
sel hoch. Seine Beine drohten unter ihm nachzugeben, aber irgendwie
gelang es ihm, die wenigen Schritte bis zum Schott zurückzulegen und
die rechte Hand gegen das Sensorschloß zu pressen.
Zischend glitt das Schott zur Seite.
Ein weiterer Schritt, und er stand draußen in der kahlen Stahlröhre des
Hauptgangs. Kaum hatte sich das Schott hinter ihm geschlossen, marter-
te ihn der nächste Krampf. Eine erbarmungslose Faust schien sein Herz
zu zerdrücken. Er stolperte und sackte halb gegen die Wand. Ein erstick-
ter Laut entrang sich seiner Kehle.
Bei den Ahnen! durchfuhr es ihn. Ich schaffe es nicht!
Keuchend, am ganzen Körper bebend, hielt er sich an der Wand fest.
Langsam flauten die Schmerzen ab und hinterließen Schwäche und
Übelkeit.
Er wankte weiter. Seine Beine waren bleischwer, und er konnte kaum
noch etwas sehen. Kalter Schweiß rann über sein verzerrtes Gesicht.
Wieder eine Schmerzwelle, gefolgt von neuen Krämpfen.
Er stürzte und schlug schwer auf dem Boden auf, doch er spürte den
Aufprall kaum. Die Schmerzwellen kamen jetzt immer schneller, und
das Ende des Gangs war noch schrecklich weit entfernt.
Nicht aufgeben, dachte Krom. Du mußt es versuchen, du mußt es
schaffen!
Er kroch weiter. Meter um Meter kämpfte er sich vorwärts, während
tief im Bauch des Schiffes die Fusionsmeiler anliefen und die Trieb-
werke mit Energie beschickten. Die MORTUS beschleunigte und nahm
Kurs auf das Schattentor. Das Dröhnen der Triebwerke wurde lauter;
nicht mehr lange, und das Flaggschiff der herculeanischen Flotte würde
durch das Dimensionstor in das sterbende Nachbaruniversum zurück-
kehren, in das Kroms Vorfahren vor Jahrtausenden verbannt worden
waren.
Weiter! dachte Krom. Weiter!