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heft:die_barbaren_kommen_-_terra

  Titel: Die Barbaren kommen
Autor: Hans Kneifel
Reihe:Terra Band 355
Originaltitel
Titelbild: Karl Stephan
Verlag:Moewig, Rastatt 1964

Der Roboter wartete geduldig…
Er kannte weder Ungeduld noch war er einer anderen menschlichen Regung fähig, denn er stellte eine der vollendeten Schöpfungen dar, die das Hirn des Planeten Gammon hervorgebracht hatte. Diese ungeheure technische Maschinerie dieses Planeten versorgte unablässig — getreu ihrem Vorsatz, einer intelligenten Rasse zu dienen — das Zweite Imperium mit diesen Robotern. Die feingliedrigen Finger der Maschine waren nur für einen einzigen Zweck geschaffen worden:
Sie schrieben mit einem besonderen Federhalter und einer Spezialflüssigkeit auf ein hochwertiges, kostbares Papier. Der Robot verwendete dazu eine Schrift, die seit einigen hundert Jahren die Universalschrift des Zweiten Imperiums darstellte. Er wandte den Kopf und sah seinen Herrn fragend an. Mit einem kaum wahrnehmbaren Klicken hob sich die Maske über den roten Augen um wenige Millimeter. Es war
still in dem großen Raum.
„Schreibe…“, sagte der alte Mann.
Er hieß Oliver Senevaer und war fast tausend Jahre alt. Fast unsterblich, wenn er daran dachte, was er alles gesehen und erlebt hatte. Jetzt huschte, sichtbar nur für die kurze Winzigkeit eines Augenblicks, die Andeutung eines nachsichtigen Lächelns über die Züge des Greises. Der Alte sah sinnend aus dem Fenster, das fast die gesamte Wand des Raumes ausfüllte.
„Ja, Herr“, sagte der Robot leise, „ich warte…“
Mit einem gewissen Sinn für Symbolik hatte man Sevenaer, den Chronisten, in das hundertste Stockwerk eines mächtigen Hochhauses gebracht. Dieses Gebäude erhob sich in einer kühnen, ultramodernen Konstruktion über die ausgedehnte Fläche von Terra Central. Die letzten Spuren der Angriffe von Barbarenflotten waren heute, fünfzig Jahre nach diesen wilden Tagen, längst beseitigt worden. Die Zeit hatte sie vergessen gemacht.
Seit fünfhundert Jahren tat dieser alte Mann nichts anderes als forschen und schreiben. Seine Geräte und er hatten jedes Detail und jeden bedeutenden Vorgang hier gesammelt und geordnet, die sich in der langen, bewegten Geschichte des Zweiten Imperiums ergeben hatten. Jetzt benötigte Oliver nur noch das betreffende Band, das er dann, gekürzt und überarbeitet, dem Roboter diktierte. Die Maschine schrieb die endgültige Fassung nieder.
Das größte geschichtliche Werk der Welt, das jemals ein Mensch zu schreiben gewagt hatte, war jetzt an einer Phase angelangt, an der nichts anderes als die äußerste, objektive Wahrheit verlangt wurde. Es war der Beginn des letzten Drittels.
„Schreibe jetzt“, sagte Oliver Sevenaer, der Chronist.
Langsam hob sich die Hand des Gammoniers, die den Federhalter hielt. Dann senkten sich die Finger auf das strahlendweiße Papier herunter.
„In gewisser Hinsicht gleicht die Geschichte des Zweiten Imperiums derjenigen, die uns als Durchführung der klassischen Idee genialster Staatsgedanken erscheint; nämlich der Geschichte des Römischen Weltreiches. Im Verhältnis gesehen, unterscheiden sich die beiden Imperien nur durch die Weiterentwicklung der Technik und das Fehlen einer zentralen Herrscherfigur. Damals hatte das Römische Reich dieselbe Ausdehnung wie das Imperium heute, wenn man sich statt Rom als Stadt einen Planeten wie die Erde denkt.

heft/die_barbaren_kommen_-_terra.txt · Zuletzt geändert: 2018/06/23 13:43 von Steffen Glavanitz