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heft:echo_aus_dem_all_-_terra

  Titel:Echo aus dem All
Autor: John Brunner
Reihe:Terra Band 403
Originaltitel: Echo in the skull (1959)
Übersetzer: Ingrid Neumann
Titelbild:
Verlag:Moewig, Rastatt 1965

Nebenprodukte der Sonnenreaktion, fast zur Gänze ihrer ultravioletten Bestandteile durch die Ozonschichten in der Atmosphäre beraubt, drangen durch vereinzelte Spalten an den Rändern des Vorhangs. Die höchste dieser Spalten lag etwa zehn Zentimeter unter dem nassen Fleck an der sich schälenden Wand. Von oben hörte man Klappern, als Mrs. Ramsey loshumpelte, um ihren Mülleimer aus der Küche zu schaffen.
Eingehüllt in ihren dünnen Mantel, wachte Sally Ercott auf.
Als erstes wollte sie auf ihre Armbanduhr blicken. Sie war nicht auf ihrem Handgelenk, natürlich; sie hatte die Uhr ja versetzt.
Sie starrte auf das unregelmäßige Muster des Sonnenlichts an der Wand und dachte kurz an die Sonnenreaktion. Das alles wurde von der Feststellung weggefegt, daß es Mittag sein müßte, dem Winkel nach, aus dem die Strahlen einfielen. O Gott …
Das Erwachen verlief immer gleich; der Fall vom warmen – oder wenigstens annehmbaren – Komfort des Schlafes in die harte Wirklichkeit war genauso schrecklich und nervenzerrüttend wie ein wirklicher, körperlicher Fall von einer Klippe.
Eine oder zwei Minuten lang kämpfte sie darum, wieder zurück in das Dunkel zu entfliehen, wo sie an nichts denken mußte; dann begann Mrs. Ramsey, ihren Eimer die Stufen hinunterzuschleppen, bum, bum, bum, bei jedem Schritt, und aus war es mit dem Fluchtversuch. Zornig und voll Haß mit sich selbst stand Sally auf.
Sie taumelte und legte eine Hand auf den Kaminsims, um sich festzuhalten. Ihr schulterlanges, blondes Haar war zerzaust und hing ihr ins Gesicht; sie machte einen unnützen Versuch, es mit ihrer Hand zurückzukämmen.
Sie hielt sich nun mit beiden Händen am Kaminsims fest und zwang sich, befahl sich, in den Spiegel zu schauen, der dort angebracht war. Lange blieben ihre blauen Augen geschlossen und weigerten sich, die Wirklichkeit zu akzeptieren. Eine Zeile eines Gedichtes von Kipling fiel ihr ein, das sie vor langer Zeit gehört haben mußte. Sie öffnete die Augen.
Zuerst schaute sie sich selbst bedächtig und voll Abscheu an. Ihre Haare, rattenschwanzartig, verfilzt, durcheinander; ihre Augen, rotgerändert und trüb vor Schlaf; ihren großen Mund, rissig von der Kälte und rundherum ein Rand von der Suppe, die sie am vergangenen Abend gegessen hatte. Sie brauchte sich gar nicht näher zu betrachten; seit drei Wochen hatte sie dasselbe Kleid an, ihre Strümpfe waren in Fetzen, und an ihren Schuhen fehlten beide Absätze.

heft/echo_aus_dem_all_-_terra.txt · Zuletzt geändert: 2018/11/22 17:36 von Steffen Glavanitz