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heft:gladiator_des_rechts_-_terra

  Titel:Gladiator des Rechts
Autor: Frederik Pohl, Cyril M. Kornbluth
Reihe:Terra Band 402
Originaltitel: Gladiator at law (1954)
Übersetzer:Heinz Zwack
Titelbild:
Verlag:Moewig, Rastatt 1965

Die Augen des Angeklagten huschten gehetzt im Gerichtssaal herum. Dann blickten sie Charles Mundin, den Verteidiger, flehentlich an. „Sie müssen mir helfen! Das ist jetzt das dritte Mal, dieses Mal schulen sie mich bestimmt um!“
Mundin sah seinen Klienten mit unverhohlenem Ekel an. „Sie wollen sich also nicht schuldig bekennen?“ fragte er. Er war vom Gericht als Verteidiger bestimmt worden und betrachtete das als Hinterhältigkeit des Richters. Die Fingerabdrücke dieses Gelegenheitsdiebes befanden sich auf der ganzen Oberfläche von Beweisstück A, einer eisernen Geldkassette, die aus einem Schalter des Monmouth Stadions geangelt worden war.
Mundin versuchte es noch einmal. „So schlimm ist es doch gar nicht, das wissen Sie doch. Nur ein paar Tage in einem Krankenhaus. Es ist vollkommen schmerzlos.“
„Sie verstehen mich nicht“, jammerte sein Mandant. „Wenn ich umgeschult werde, dann muß ich arbeiten.“
Aber die Verhandlung war in wenigen Minuten vorüber.
Mundin stand auf.
„Hohes Gericht“, sagte er. „Mein Mandant hat in seinem Leben nicht viel Angenehmes erfahren. Mag er auch ein Bewohner von Belly Rave sein und das Produkt einer zerrütteten Familie, er verdient trotzdem Recht und Gerechtigkeit wie jeder andere Bürger. In diesem Falle bin ich allerdings gezwungen hinzuzufügen, daß ihm nur durch einen Akt der Gnade Gerechtigkeit widerfahren kann.“
Richter und Staatsanwalt machten aus ihrer Belustigung kein Hehl. Zum Teufel mit seiner Würde als Anwalt! Er reckte den Hals, um das steife gelbe Band zu lesen, das aus der Chiffriermaschine des GerichtsschrElbers kroch.
Auf dem Band stand: o-o … o-o … o-o …
Das rote Fenster über dem Tisch des Richters leuchtete auf: SCHULDIG IM SINNE DER ANKLAGE.
„Arbeiten!“ murmelte der Dieb.
 
*
 
Ein Spaziergang von fünfzehn Minuten durch die Straßen von Monmouth brachte ihn in sein Bürogebäude. Er kostete wieder einmal das stolze Gefühl aus, das ihn jedesmal überkam, wenn er die kleine Tafel mit seinem Namen an der Tür sah. Daneben hing ein Schild, auf dem zu lesen stand, daß im Augenblick keine Räume zu vermieten waren. Mundin hoffte, daß es so bleiben würde, wenigstens, was sein Büro betraf.
Als er im Lift stand, sagte er „Sechzehn“ und dachte dann wieder an seinen ersten Klienten, den Gelegenheitsdieb. Immerhin würde ihm die Verteidigung eine Gebühr einbringen, das war immer der Fall, wenn auf „Umschulung“ erkannt wurde. Der Mann war darüber erschüttert gewesen, daß es ihm in Zukunft psychologisch unmöglich sein würde, zu stehlen. Vielleicht würde auch Anwalt Mundin eines Tages dazu getrieben werden, mit einer Angel und einer Leine sein Glück an den Schaltern des Monmouth Stadions zu versuchen.
Oder vielleicht würde ihn seine Verzweiflung sogar noch weiter treiben, und er würde sich freiwillig zu den Gladiatorenkämpfen melden.
Sein Briefkasten war leer, aber seine garantiert vollautomatische Sekretärin – er hatte noch Abzahlungen auf sie zu leisten – blinkte. „Nur zu“, sagte sie.
„Telefonanruf zwölf Uhr fünf“, sagte die Maschine in ihrer wohlartikulierten Stimme. „Herr Mundin ist außer Haus, gnädige Frau. Wenn Sie ihm eine Nachricht hinterlassen wollen, dann will ich sie gerne aufnehmen.“
Jetzt kam die Stimme von Del Dworcas, dem Vorsitzenden des Parteikomitees, der Mundin schon hin und wieder einen Gefallen erwiesen hatte. „Wen, zum Teufel, nennen Sie hier ‚Gnädige Frau’, Süße?“
Dann wieder seine Sekretärin: „Ack-ack-ack-au-wwih.“
Dworcas, erregt: „Was zur Hölle …? Ach so. Einer von diesen verdammten Apparaten. Nun, hören Sie zu, Charlie. Ich habe Ihnen jemand hinübergeschickt. Der Mann heißt Bligh. Rufen Sie mich dann an, ich habe etwas mit Ihnen zu besprechen. Und ich würde Ihnen doch sehr empfehlen, daß Sie diese verdammte Maschine in Ordnung bringen lassen, wenn Sie nicht Kunden verlieren wollen.“
Dann nach einer Pause die Sekretärin: „Ist das alles, gnädige Frau?“
Dann flackerte ein grünes Licht auf, und die Sekretärin fuhr fort: „Ein Herr ist in Ihrem Vorzimmer, der Sie sprechen möchte, Frau Mundin.“
„Herein!“ brüllte Mundin. Und dann: „Oh, ich bitte um Entschuldigung. Herr Bligh?“
Der Mann blinzelte etwas und trat dann vorsichtig näher. Er sah sich um und nahm einen Stuhl. Mundin stellte fest, daß er ein Hörgerät trug, vielleicht hielt er deshalb den Kopf so schief.
„Ja. Norvell Bligh ist mein Name. Ich habe Herrn Dworcas gefragt, ob er mir einen erstklassigen Anwalt empfehlen könnte, und er hat Sie genannt.“
„Und was kann ich für Sie tun?“ fragte Mundin.
Blighs Augen huschten unruhig im Zimmer herum. „Meine Frau – das heißt, ich, möchte mich über Adoption informieren. Ich habe eine Stieftochter – die Tochter meiner Frau aus erster Ehe, und meine Frau meint, daß wir sie adoptieren sollten.“
Der liebe alte Del Dworcas, dachte Mundin voll Wut. Er weiß, daß ich Strafverteidiger bin und doch … „Tut mir leid, Herr Bligh, aber da sind Sie bei mir an der falschen Stelle. Da müssen Sie sich einen Zivilanwalt suchen.“
Bligh drückte auf den Knopf seines Hörgerätes. „Wie bitte?“
„Ich habe gesagt“, wiederholte Mundin laut, „daß – ich – das – nicht – machen – kann.“
„Ich weiß, daß Sie es nicht können“, sagte Bligh. „Das hat mir Herr Dworcas auch erklärt. Aber er hat gesagt, daß ein Zivilanwalt ein sehr hohes Honorar fordern würde, und daß Sie – nun, er meinte, daß Sie sein Freund seien und ich ein Freund seines Bruders, und daß sich deshalb alles vielleicht auf freundschaftlicher Basis erledigen lasse. Ich will ja nur wissen, welche Schritte ich zu unternehmen habe. Ich denke doch nicht, daß ich vor Gericht einen Anwalt brauchen werde?“
Mundin überlegte. „Vielleicht nicht.“ Was er hier machte, war nicht ganz korrekt, darüber war er sich im klaren, da hatte ihn Dworcas in eine feine Sache hineingeritten. Aber immerhin, der Mann wollte ja schließlich nur seinen Rat, und dagegen konnte niemand etwas einzuwenden haben.
„Na schön“, meinte er schließlich, „dann erzählen Sie mir einmal die ganze Geschichte. Geben Sie mir nur die wichtigsten Daten an, Alter des Kindes, Aufenthalt des natürlichen Vaters und so weiter.“

heft/gladiator_des_rechts_-_terra.txt · Zuletzt geändert: 2018/11/22 17:32 von Steffen Glavanitz